Alles klar auf der SY GALEB
Als ich Wolfgang (44) zum ersten Mal traf, war dies beim Shipshop auf der BOOT 2008. „Hey, Du kennst Dich doch mit PACTOR aus“, sprach er mich an. Nach einer Stunde hatte ich alle seine Fragen beantwortet. Von E-Mail über Wetterfax bis zu den GRIB-Files. Wolfgang war nun glücklicher Besitzer eines PTC-IIusb. Ich war nicht ganz so glücklich, weil Wolfgang seine Anlage mit einem IC 7000 betreiben wollte. „Wolfgang,“ wendete ich ein: „Der IC 7000 ist ganz neu auf dem Mark, sehr kompakt und wahrscheinlich sehr empfindlich. Ein ausgereiftes Gerät, wie der 706MKIIG passt besser zu dir und deinem Boot.“ Aber Wolfgang hatte sich schon entschieden, und den Preis konnte ich nicht halten.
Bis letzte Woche habe ich nichts mehr von Wolfgang gehört. „Das ist gut. Kunden, die sich nicht mehr melden, sind glückliche Kunden,“ meint Nathalie in unserer Küche, als ich ihr von Wolfgang erzähle, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern einmal Karibik und zurück machen will. Kurze Zeit später führte ich ein langes Telefonat mit Wolfgang, doch was er zu erzählen hatte, hatte nichts mit PACTOR zu tun.
Die SY GALEB hatte mitten im Atlantik ihren Mast verloren. In der Nacht zuvor gab es 50 Knoten von achtern. Nichts Schlimmes eigentlich, nur unangenehm. „Micha, die Welle war kurz, steil und unangenehm. Mehrmals ist ein Brecher über die Seite und das Heck, sogar durch die Motorraumentlüftung bis ins Boot rein,“ berichtet Wolfgang. „Dann war auch noch der Autopilot kaputt. Wirre Fehlermeldungen am Terminal, so dass ich nicht vom Steuerrad weggekommen bin. Die ganze Nacht. Die Familie habe ich unter Deck geschickt!“ Nach der anstrengenden Nacht und etwas Schlaf am nächsten Tag konnte Wolfgang, als der Wind endlich nachgelassen hatte, den Autopiloten reparieren. Das Problem lag, wie so häufig, an den Kollektorkohlen. Die Federn etwas auseinanderziehen, die Kohlen mit feinem Schleifpapier von der Korrosion befreien und das Ding läuft wieder. „Das Anstrengenste daran ist, sich kopfüber im Bauch des Schiffes zu versenken. Autopiloten sind in der Regel ja an den unmöglichsten Stellen eingebaut.“ „Da kenne ich was von,“ bestätige ich Wolfgang.
Ohne Mast geht es auch, zumindest mit dem Wind von hinten.
„Am nächsten Tag ist es passiert. Wie immer nach einem durchgezogenen Sturm, flaute der Wind ab, und die Welle, die sich über hunderte von Meilen aufgebaut hatte, blieb stehen. Und plötzlich, schneller als man es begreifen konnte, fiel der Mast um. Durch die Reling. Es krachte kurz und RUMMS!“ Ich lache nicht mehr. Man merkt Wolfgang an, dass er, auch wenn er am Telefon ganz cool ist, das Erlebnis immer noch so lebendig vor sich hat, als wenn es grade eben erst passiert wäre. „Wir hatten vielleicht noch 25-30 Knoten Wind und zwei Meter Welle. Materialschwäche. Edelstahl. Ein Toggle, der die Wanten am Mast befestigt.“ „Wolfgang, das war einfach Pech.“ „Pech? Micha, es sind 5 Yachten ohne Mast in dieser Saison auf Horta eingelaufen und allen ist der Mast einfach so umgefallen.“ Ich schlucke. „Erst mal habe ich mich natürlich um meine Familie gesorgt. Der Mast hing noch irgendwie an dem ehemals stehenden Gut. Das habe ich schnell gelöst, damit die Reste mir kein Loch in den Rumpf der GALEB hauen. Dann versank der Mast im Nordatlantik. Irgendwo auf 5000 Meter Tiefe“
Surfboardpassatsegel!
„Das einzige Notsegel, das wir hatten, war ein Surfsegel. Das haben wir geriggt.“ Ich höre Wolfgang aufmerksam zu. „Und wie ging es weiter?“ frage ich nach. „Nun, mit unseren 150 Litern Diesel sahen wir schlecht aus. Damit die restliche Strecke von über 900 Meilen nach Horta auf die Azoren zu kommen war quasi unmöglich.“ „Du hast ja ordentlich was erlebt. Ich hoffe, dass niemandem etwas passiert ist!“ „Nein, Crew und Kapitän sind wohlauf. Es war ja auch kein Sturm mehr. Nach 50 Knoten in der Nacht kommen Dir 30 Knoten sanft vor.“
„Der Wind drehte schliesslich auf Ost. Mit dem Surfsegel war nichts mehr zu machen. Also lagen wir anderthalb Tage beigedreht. Nicht nach Horta ging der Weg, sondern zurück Richtung Amerika! Die Stimmung an Bord war dementsprechend.“
Auf meine Frage, ob und wie er die SAR (Search and Rescue) Organisationen eingeschaltet hat antwortet mir Wolfgang: „Micha, wir hatten kein Satellitentelefon an Bord. Wofür auch. Auch die EPIRB haben wir nicht aktiviert, denn es lag ja keine direkte Gefährdung von Menschen vor. Wir sind auch nicht gesunken. Also haben wir mit E-Mail via SSB und dem SCS PACTOR-Modem, das Du mir damals auf der Messe verkauft hast, Kontakt mit der Seenotrettungsstelle MRCC (Maritime Rescue Coordination Center) in Northfolk aufgenommen. Mit Sprechfunk wären wir ja gar nicht erst so weit gekommen. Zumal wir auch noch die Hälfte unserer Kurzwellenantenne bei dem Unfall verloren hatten.“ „Das hören wir natürlich gerne, aber erzähl doch mal etwas genauer.“ „Also“, Wolfgang holt Luft: “Northfolk hat die gesamte Koordination der Rettungs- oder besser gesagt Hilfsaktion übernommen. Der gesamte Funkverkehr lief über E-Mail mit dem WINLINK-System ab. Das hat immer zuverlässig funktioniert und ich bin absolut froh, dieses einfache, unkomplizierte Kommunikationstool an Bord gehabt zu haben.
Auch im Notfall kann der Sonnuntergang romantisch sein.
Im Internet kann man auf der Website der SY GALEB, www.himbeerblau.de, die Berichte aus dieser Zeit nachlesen. Im direkten Funkkontakt stand Wolfgang als Funkamateur AF6IO vor allen Dingen mit dem Seelotsen, Christoph Schütze. Auch auf der Internetseite des Seelotsen, www.seelotse.com, kann man interessante Details in der Zeit ab dem 12.05.09 sichten.
Wolfgang erzählt weiter: „Von Rettung kann ja eigentlich nicht gesprochen werden. Ein neues Rigg konnte uns keiner mitten auf dem Atlantik aufsetzen, mit unserem Surfsegel wären wir auch angekommen, aber es hätte Wochen gedauert. Was uns fehlte, waren einige Kanister Diesel. Mit einer Tankstelle wäre uns geholfen gewesen. Mit Hilfe des amerikanischen Rescue Center gelang es Kontakt zu dem griechischen Frachter ALPHA ERA unter maltesischer Flagge aufzunehmen und einen Termin auf offener See abzumachen. Dank GPS heute kein großes Problem mehr. Auch diese Kommunikation ist vollständig über unser PACTOR-E-Mail-System abgewickelt worden. Das Wetter war gut, die Wellen passabel und in Lee des riesigen Schiffs hielt ich die GALEB auf Abstand von der unfreundlich aussehenden Bootswand des Frachtschiffes.
Die GALEB nähert sich vorsichtig dem helfenden Frachter.
Die Matrosen schmissen eine Wurfleine, daran hing eine dünnere Trosse, die als Seilbahn diente. Mein Sohn und meine Frau stand auf dem Vordeck und nahmen Kanister für Kanister wertvollen Diesel entgegen, den die Griechen an einer Führungsleine hinunter abseilten, entgegen. So bekamen wir 20 X 25 Liter Kanister Schiffsdiesel.
Dieselkanister Seilbahn
„Diesel konnte man das nicht unbedingt nennen. Eine dreckige Brühe. Die ersten Kanister habe ich nachts eingefüllt ohne die Qualität des Kraftstoffes zu sehen. Den Rest habe ich peinlich gefiltert.“
„Und konntet Ihr mit Kreditkarte bezahlen? Oder hab ihr das auch über PACTOR gemacht?“ fragte ich.
Wolfgang lacht am Telefon. „Geschenk der ALPHA ERA für unsere Familie.“
„Nach dieser grandiosen Aktion konnten wir unseren Diesel tuckern lassen und beruhigt Richtung Horta gehen. Dort sind wir am 26.5.2009 eingelaufen und gebührend empfangen worden. Wir sind allesamt glücklich und gesund angekommen.“
„Und wie waren deine Erfahrungen über den gesamten Trip, den du mit deiner Familie und deinen drei Kindern gemacht hast? Die Ost-West Atlantiküberquerung, der Aufenthalt in der Karibik und die Rückfahrt über den Nordatlantik? Hat sich die Reise gelohnt? Ist das nicht ein sehr kurzer Zeitraum für so viele Meilen?“
„Wir hatten viel Spass und den Kindern (4/11/15) hat diese Auszeit nur gut getan. Sie hatten das Unterrichtsmaterial aus ihrer Heimatschule mit. Eigenverantwortlich lernten sie nach ihren Büchern. Der Rektor und die Lehrer standen hinter der ganzen Aktion, und unsere Internetseite www.himbeerblau.de gehörte wohl zum täglichen Schulalltag der daheimgebliebenen Freunde und Mitschüler.“
Die wahren Helden der SY GALEB, die Papas Träume mitmachen.
Von der Technik her ist außer unserem Mast nicht viel kaputt gegangen. Der ICOM 7000 musste zweimal repariert werden. Leider verträgt er keine Überspannung über 13.8 Volt. Beim Laden der Batterie unter Motor geht die Ladespannung ja meist weit darüber, je nach Lichtmaschinenregler bis auf 14.6 Volt. Erst als ich den 7000er mit einer externen Batterie betrieben habe, die beim Laden unter Motor abgeklemmt wurde, habe ich das Problem in den Griff bekommen. Aber das war es dann auch. Sonst ist eigentlich alles heile geblieben.
Nach der Rückkehr frieren wir hier ordentlich und würden am liebsten sofort wieder lossegeln. Wir haben keinen einzigen Tag bereut, doch der Arbeitalltag ruft. Für uns war es ein Sabbatical Year, jetzt muss ich wohl erst mal sieben Jahre wieder ordentlich reinhauen.
Michael Wnuk, DL1JD/KD7SVU, im Gespräch mit Wolfgang Merz, Dezember 2009, Süd Afrika